Künstler und Kunstvermittler
Art and Art Education
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Die Welt ist in Bewegung und mit ihr drehen wir unsere Runden. Und so manche Kunst widmet sich diesem konstanten Wandel mit aller Leidenschaft. Kunst fixiert die Welt für einen Moment. Und im Stillstand lassen sich viele Dinge besser verstehen.
Was die Kunstschaffenden in der Ausstellung Transform_2 machen, ist nichts anderes als sich einlassen, sich einbringen, sich ausstellen und dann weiterziehen. Und schon kommt der oder die nächste Kunstschaffende und übernimmt das eben geschaffene Werk. Die etwa vierzig Kunstschaffenden experimentieren mit den Räumen, den vor Ort entstandenen Arbeiten, den aufkommenden Geschichten und den Spuren überall im Gebäude. Eine sehr schöne und verspielte Möglichkeit für die Kunstschaffenden und die Vernissage-Stammgäste.
Ich hoffe, es gibt während dieser konstanten Umgestaltung Kunstwerke, die das temporäre Dasein überwinden. Arbeiten, die mehr sein wollen als nur ein wöchentliches künstlerisches Statement, die den Anspruch auf eine Dauer haben, die mich auch an einer Vernissage berühren und verführen können. Und ob das Werk dann am Samstagmorgen noch existiert oder nicht ist mir eigentlich egal. Denn das Werk hat mich bewegt. Und mit ihm drehe ich jetzt meine Runden.
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Chri Frautschi ist einer der aktivsten Ausstellungsmacher unserer Zeit. Jeden Donnerstagabend öffnet er in Biel seinen Ausstellungsraum mit einer neuen Ausstellung. So sind es im Jahr über 40 Ausstellungen, die er im Lokal-Int kuratiert. Wobei Kulturmacher besser zutrifft als Kurator. Denn wenn ich Chri zuhöre, dann hab ich das Gefühl, dass ihn die Kunstschaffenden mehr interessieren als deren Kunstwerke. Chri lädt Kunstschaffende ein und gibt ihnen eine Carte Blanche. So gibt es Happenings, Ausstellungen, Konzerte und Performances. Er bietet den Kunstschaffenden nur den Raum, kühles Bier und die Bieler-Stammkundschaft. Die Kunstschaffenden kuratieren sich selbst. Und das macht die Ausstellungen im lokal-int so frisch und gut.
Hier in Bern hat Chri diese Box gebaut. Zwei auf zwei auf zwei Meter. Und wie in Biel bespielt er seinen Raum nicht selbst. Er hat neun Kunstschaffende oder Künstlergruppen eingeladen, in der Box eine Woche lang zu wüten. Er gibt uns freie Hand: Die Box „kann als Showroom, Whitecube funktionieren, kann aber auch verbaut, umgestaltet und bearbeitet werden“, schreibt er in einem Mail. Diese Freiheiten kennen wir von Biel. Doch anders als in Biel stellt er in Bern eine einzige Regel auf. „Die Aussenhülle darf nicht verändert werden.“ Mit dieser Regel reserviert sich Chri die Aussenseite der Box für sich alleine. Diesen Akt, diese Arbeit und diese Geste von Chri sollte man sich erst mal vergegenwärtigen. Bevor man sich den Arbeiten der Kunstschaffenden im Box-Innern widmet.
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Während jedes Museum ein niederschwelliges Kunstvermittlungs-Angebot hat, kümmern sich Galerien und Orte wie dieser hier selten um die Vermittlung. Denn bei vielen Kunstschaffenden ist die Vermittlung von Kunst verpönt: Kunst soll nicht erklärt, aber trotzdem verstanden werden.
Im Transform-Ausstellungs-Marathon gibt es jeden Freitag um 20 Uhr ein Wochenprotokoll. Es ist ein Rundgang, in dem die entstandenen Arbeiten gemeinsam angeschaut und mit dem Kuratorenduo und den Kunstschaffenden besprochen werden. Obwohl sich kein Kunstvermittler zwischen die Arbeit und das Publikum stellt, bezeichne ich das Wochenprotokoll als eine Form der Kunstvermittlung. An dieser direkten Vermittlung von Kunst gefällt mir, dass es keine Analysen und systematischen Betrachtungen gibt. Hier reden die Personen, die bei der Entstehung dabei waren und ihre persönlichen Geschichten erzählen. Denn bei der zeitgenössischen Kunstvermittlung geht es schon lange nicht mehr um das Wissen oder das Verstehen. Vielmehr geht es um den Versuch, Erfahrungen mit Kunst zu teilen. Und wer kann das besser als die Kunstschaffenden und die Kuratoren selbst.
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Markus Furrer hat letzten Freitag diese Box getauft - dieses Kind, das Chri Frautschi nun der Kunstwelt überlässt. Wobei taufen die falsche Bezeichnung ist. Markus hat einen fünf Liter grossen weissen Farbkübel in die Box geschwungen. Und als Markus den Kübel mit Schwung Richtung Box schickte, haben wir eine Farbexplosion erwartet. Doch es kam anders. Der Farbkübel traf die Lampe und brachte die Beleuchtung der Box zum Flackern. Und für einen Moment war es dunkel in der Box, die eigentlich weiss-bekleckst hätte sein sollen. Die Lampe erholte sich leider selbständig und beim zweiten Schwung Richtung Box schwappte die Farbe über und machte Bilder, die mich an Jackson Pollock erinnerten.
Mir gefiel der Moment, an dem die Box dunkel war. Er dauerte etwa eine Sekunde. Es war eine Art Statement: Warum braucht es in diesem als künstlerisch deklarierten zweiten Stock eine Box? Ist das nicht ein bisschen zu viel Künstlichkeit? Und so hat Markus die Box beinahe zerstört, statt daraus einen Whitecube zu machen.
An der Vernissage letzte Woche haben dann viele die Spuren innerhalb der schummrig beleuchteten Box betrachtet. Aus scheinbar sicherer Distanz. Dabei haben sie aber nicht gemerkt, dass sie in den Farbspritzern standen. Ich habe den Verdacht, dass dies Markus Absicht war.
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Letzen Freitag hat es gestürmt. Es brauchte Überwindung, überhaupt aus dem Haus zu kommen. Die Züge hatten Verspätung und der Räumungsdienst war überfordert. Unterwegs in die zweite Vernissage von Transform_2 stand ich an einer Bushaltestelle. Ich fragte mich, ob noch mehr als Bekannte, Freunde und die Stammkundschaft zur Vernissage kommen würden. Und als ich mich auch bei meinem zweiten Transform-Besuch im Quartier verirrte hatte, dachte ich an die Landart-KünstlerInnen, die sich in den Sechzigern dem Kunstmarkt entzogen, die das Publikum raus aus der Stadt bringen wollten und ihre Kunstwerke an abgelegenen Orten machten.
Als ich dann gut gekühlt im Transform_2 angekommen war, fand ich die Arbeit von Verena Welten. Ein Erdhaufen. Daneben in der Ecke stand eine Schaufel und an der Wand klebte eine verstaubte Fotografie einer feuerroten Mohnblüte. Ich stand vor dem Haufen und wünschte mir den Frühling herbei. Dass die Schneehaufen schmelzen und der Mohn spriessen würde. Und ich dachte an Andy Goldsworthy, der riesige Schneebälle in Museen schmelzen liess. Und ich dachte an Walter de Maria, der in New York eine Galerie mit Erde füllte. Mit dieser Arbeit hat er die Landart verstädtert. Das Publikum musste nun nicht mehr zu den Arbeiten in die Wüste fahren um die Landart-Arbeiten zu sehen, es konnte nun zwei Blocks weiter zur Galerie gehen.
Die Transform-Ausstellung ist abgelegen in der Agglo-Wüste von Bern. Wer hier rauskommt, will was sehen. Und um den Weg zu finden braucht es eine Karte oder ein Kroki. Und genau dies brauchten auch die Stadtmenschen in den 60 Jahren, die die Landart-Arbeiten in den abgelegenen Regionen sehen wollten.
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Das Konzert von Nick Porsche habe ich eigentlich verpasst. lch habe mit einer Künstlerin im Raum nebenan darüber geredet, wie museal die Ausstellung hier eigentlich ist. Dass viele der KünstlerInnen einen Raum oder einen Ort suchen, den sie dann mit ihrer Arbeit bespielen. Das ist eigentlich absurd, da hier alle von Vermischung, Netzwerk, Transdisziplinarität und Kooperation reden. Es scheint mir, als gebe es hier lauter One-Man-Shows in einer wöchentlichen Gruppenausstellung.
Und dann bin ich zum Konzert von Nick Porsche gegangen. Ich habe die letzten zwei Lieder gehört und dabei ein Bier getrunken. Alle haben getanzt oder sich zumindest bewegt. Das tat gut und gab zudem warm.
Nach dem Konzert kaufte ich bei Nick das Album „As Much As I Don't Have“. In dem kurzen Gespräch erfuhr ich, dass der Musiker an seiner Seite Frank Heierli heisst und dass sie erst das dritte Mal zusammen auftreten. Dies überraschte mich, denn Nick und Frank wirkten wie eine Symphonie. Ihre Musik klang wie ein Liebespaar in den ersten Monaten. Sie spielten miteinander. Sie klang wunderbar – diese Zusammenarbeit.